Friday, December 23, 2016

Gerd Anthoff, der scheue Atheist By Gerhard Fischer

Photo Credit: Catherina Hess
Ingmar Bergman hat Gerd Anthoff gelehrt, wie man Aggressionen spielt. Der Regisseur, der Schweden wegen Steuersorgen verlassen hatte, und der Schauspieler trafen sich in den Achtzigerjahren am Residenztheater in München. Anthoff spielte in Ibsens "Nora" den Erpresser Krogstad. "Und Bergman hat bestimmt, dass die Rolle vom Scheitel bis zur Sohle mit Aggressionen ausgefüllt sein musste", erzählt er. Das Problem war, dass Gerd Anthoff eher ein sanfter Mensch ist. "Bergman wusste das", sagt Anthoff, "und deshalb hat er bei der Probe unterschwellig eine ungeheure Aggression ausgestrahlt - gegen alles und jeden." Anthoff hat die Schwingungen aufgenommen. "Ich war plötzlich wie der Fisch im Wasser", sagt er. "Und seit dieser Zeit kann ich die Aggressionen auf der Bühne ausleben." Gerd Anthoff, 70, hat in seiner Fernseh-Karriere ein paar Kotzbrocken gespielt, etwa den rücksichtslosen Bauunternehmer Toni Rambold in "Der Bulle von Tölz" oder den korrupten Kommissar Dr. Claus Reiter in "Unter Verdacht". In der ersten Folge hat Reiter sogar einen Mordanschlag auf seine Kollegin Eva Prohacek (Senta Berger) initiiert. "Es kam nie heraus, ob er tatsächlich dahinter steckte", sagt Anthoff, "aber er steckte dahinter." Wenn das einer wissen muss, dann er. Gerd Anthoff sitzt im Stadtcafé und erzählt unentwegt Geschichten - von Berger, von Bergman oder vom Brandner Kaspar, wo er mehr als 950 mal den Nantwein spielen durfte. Dabei hatte der Spiegel einmal über Anthoff geschrieben, dieser entziehe sich "dem Mediengetümmel fundamentalistisch"."Ich gebe selten Interviews", sagt er dazu, "und mit roten Teppichen kann ich gar nichts anfangen." Warum? "Ich bin scheu." Auf die Anfrage der Süddeutschen Zeitung hatte er freundlich, aber zurückhaltend geantwortet: "Wir können gerne versuchen, miteinander ins Gespräch zu kommen." Die Scheu ist ein Charakterzug, aber sie kann auch damit zu tun haben, woher ein Mensch kommt. Gerd Anthoff ist nicht in einem reichen Akademiker-Haushalt aufgewachsen, in dem das Selbstbewusstsein zur inneren Einrichtung gehört. Anthoff stammt aus kleinen Verhältnissen im Münchner Westend. Als er 1946 zur Welt kam, wurden dort die Trümmer des Zweiten Weltkriegs weggeräumt. Die Kinder hat das nicht bekümmert, sie spielten zwischen dem Schutt in den Hinterhöfen. "Es war eine schöne Kindheit", sagt Anthoff. Aber es folgte "eine bedrückende Jugend". Er will nicht weiter ausführen, worin die Sorge bestand. Trost fand er im Theater. [... Page 2]/[... Page 3] SZ